Workshop zum journalistischen Schreiben

Wir schreiben eine Zeitungskolumne

Was passiert, wenn in einem Schreib-Workshop Gefühle ungebremst zu Sprache werden.
Von Dietmar Krug

Vergangene Woche hatte ich die schöne Gelegenheit, vier Schreib-Workshops an der HTLfür chemische Industrie in der Rosensteingasse abzuhalten. In vier verschiedenen Deutschklassen von Ursula Dallinger, der 3HA, der 3FU, der 3HE und der 3HC. Das Ziel war das Verfassen einer Zeitungskolumne über ein Alltagserlebnis. Nach einer einführenden Erklärung, was eine Kolumne ist und welchen Zweck sie in der Zeitung erfüllt, geht’s ans Eingemachte. Ein konkretes Alltagserlebnis wird vorgegeben: die konfliktträchtige und peinliche Suche nach einem freien Sitzplatz in einer überfüllten U-Bahn. In einem gemeinsamen Brainstorming sammeln die Schülerinnen und Schüler zunächst einmal lauter Begriffe für Emotionen, die bei einem solchen Erlebnis entstehen können, von Wut über Scham bis hin zur Platzangst. Am Ende steht ein bunter Strauß an Gefühlen auf der Tafel. Er dient als Leitfaden für die Abfassung der Geschichte, die möglichst spontan und ohne Gedanken an Kommas und Rechtschreibung erfolgen soll.

Nach der stillen Niederschrift dann der heikelste Moment im Leben eines Workshop-Leiters: „Mag jemand seine Geschichte vorlesen?“ In der Regel findet sich ein Eisbrecher. Und da es bei meinen Feedbacks nicht um Kritik geht, sondern nur um Kommentare dazu, auf welche Weise hier Emotionen zu Sprache werden, trauen sich bald weitere Mutige. Und das Ergebnis ist erstaunlich lebendig und kreativ. Da bringt etwa eine Schülerin eine Situation auf den Punkt, in der sie zwangsläufig die Blicke der Fahrgäste auf sich zieht: „Alle sahen mich an, als hätte ich ein junges Reh getötet.“ Oder ein Schüler mit Migrationshintergrund schildert, wie er bei einem Konflikt eine Rolle spielt und bewusst die Erwartungen parodiert, die seine Mitmenschen so oft an ihn herantragen: „Heast, Oida ...“ Wieder ein anderer benennt in unüberbietbarer Pointierung, wie er das Geschehen um ihn herum einfach ausblendet: „Kopfhörer auf, Welt aus.“ Er gäbe Dutzende weiterer Beispiele von Bildern und sprachlichen Purzelbäumen, die entstehen, wenn Gefühle möglichst ungehindert zu Worten werden.

Das erfreulichste Feedback, das ich selbst nach einem solchen Workshop bekomme, ist, dass sich manchmal auch Schülerinnen und Schüler zu Wort melden, die sonst nicht so gern in erster Reihe stehen. Natürlich bin ich bei einem solchen Workshop auch in einer glücklichen Situation: Ich muss weder bewerten noch Noten verteilen.

 

Dietmar Krug lebt als Schriftsteller und Journalist im Waldviertel.